Kinder in der gebauten Umwelt

Ein Mangel an primären Naturerfahrungen in der „sensiblen“ Altersphase, in der Kinder für Natureindrücke besonders empfänglich zu sein scheinen, kann wahrscheinlich durch keine noch so stimulierende Ersatzwelt kompensiert und später wohl auch nicht aufgeholt werden. Entwicklungsstörungen (...) sind also bei Kindern, die keine Gelegenheit hatten, Naturerfahrungen zu sammeln, nicht auszuschließen, ohne daß man heute schon Genaueres über die Art solcher Störungen sagen könnte. Ich vermute, daß sich die Naturentfremdung von Kleinkindern weniger auf deren kognitive als auf die soziale Entwicklung auswirkt. Ein Kind, das nur in der Kunstwelt menschlicher Zivilisation aufgewachsen ist, in der Welt der Technik und Maschinen, die auf Knopfdruck jede beliebige Reaktion hervorbringen können, wird leicht dazu neigen, die gesamte gesellschaftliche Umwelt einschließlich der zwischenmenschlichen Beziehungen für beliebig manipulierbar zu halten. Die natürliche Basis menschlicher Existenz, die trotz aller Vergesellschaftungsprozesse nach wie vor elementare Bindung des Menschen an die Natur und das Bewußtsein von den schwerwiegenden Folgen, die die Mißachtung von Naturgesetzen für die menschliche Gesellschaft haben kann, wird einem Kinde, das sich selbst niemals als Teil der Natur erlebt, nur schwer verständlich zu machen sein.

Zinn, Hermann (1980). Kinder in der gebauten Umwelt. 
In: Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.): Kinderfreundliche Umwelt. Bonn-Bad Godesberg 1980, S. 19-31 (nicht im Buchhandel) (S. 26)

Raumqualitäten beeinflussen das Spiel- und Sozialverhalten

Wissenschaftler haben außerdem herausgefunden, dass Kinder, die in üblichen Spielplatzstrukturen ohne natürliche Elemente spielen, ihre soziale Hierarchie über körperliche Stärke definierten. Nachdem eine offene Wiese mit Büschen bepflanzt worden war, nahm das Spiel in den von den Forschern so genannten „vegetativen Räumen“ eine vollkommen andere Qualität an.

Die Kinder spielten mehr Fantasiespiele, und ihre soziale Stellung hing nicht mehr so sehr von körperlicher Stärke, sondern von sprachlichen Fähigkeiten, Kreativität und Erfindungsreichtum ab.

Mit andren Worten übernahmen in natürlichen Spielräumen die kreativeren Kinder die Führungsrollen.

Louv, Richard (2011). Das letzte Kind im Wald?. Geben wir unseren Kindern die Natur zurück! 
Weinheim, Basel: Beltz. (orig. Last Child in the Woods. Saving our Children from Nature Deficit Disorder, 2005, 2008. Aus dem Amerikanischen von Andreas Nohl) (S. 116)

Spiele im Luftschutzbunker

Der meist nächtliche Fliegeralarm mit dem eiligen Gang in den Luftschutzkeller hat nicht nur Erinnerungs-, sondern hatte für uns damals einen ausgesprochenen Unterhaltungswert. Dazu müssen die besonderen Umstände doch etwas näher beschrieben werden. Das Pfarrhaus besaß ein ausgesprochen großzügig angelegtes Kellersystem mit mehreren hohen Gängen, die in Gewölbe mündeten.

Die Keller waren wie Tunnel in die Erde gegraben und dann von innen mit Feldsteinen ausgekleidet worden, weshalb sie als besonders sicher galten. Aus diesem Grund und auch wegen ihrer Räumlichkeit schlupften bei Alarm diverse Nachbarfamilien – natürlich mit ihren Kindern – bei uns unter. Bis zu zehn Kinder kamen da zusammen, alle brachten Spielzeug mit, die Sause konnte beginnen. Vor allem hatte die anderen Kinder jede Menge Kriegsspielzeug, das bei uns verboten war. Sie kramten Gewehre hervor, kleine Kanonen, Flugzeuge, Panzer und Fahrzeuge, die man aufziehen konnte. Es gab natürlich auch andere Spiele, und irgendwann musste dann auf den vorhandenen Matratzenlagern auch geschlafen werden. Wie man wieder in die Wohnung gekommen war, wussten oft nur noch die Größeren.

Horbaschk, Gottfried (2014). Holzäpfel im Pfarrgarten. Kindheit und Jugend im Erzgebirge. 
Borsdorf: edition winterwork (S. 18 f.)
UA-24100054-1